War „Hartz IV“ ein Reinfall ?

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Zehn Jahre nach der Einführung zieht ein Politologe von der Uni Köln Bilanz

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Deutschlands bekanntester Armutsforscher nimmt sich „die europaweit berühmteste Chiffre für den Abbau sozialer Leistungen“ zur Brust, und bilanziert in seinem Buch –Hartz IV und die Folgen – Auf dem Weg in eine andere Republik?– „ein zutiefst inhumanes System voll innerer Widersprüche. Er untermauert mit aktuellen Studien, was man gesellschaftlich spürt: eine größere Disziplinierung der Bevölkerung, die Prekarisierung der unteren Mittelschicht und das Phänomen, trotz Arbeit nicht genug Geld zum Leben zu haben.

1. Januar 2005 – Hartz IV spaltet die Gesellschaft, „entrechtet, erniedrigt und entmündigt Menschen“.

Parteipolitisch war die Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen ein totales Fiasko: Sie brach nicht bloß mit dem erfolgreichen kontinentaleuropäischen Sozialmodell, das auf Konsens, Sozialpartnerschaft und Solidarität basiert, vielmehr auch mit uralten Parteitraditionen, was die SPD die Kanzlerschaft, sechs Ministerpräsidentenposten, ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wählerstimmen kostete.

»Hartz IV« ist europaweit die berühmteste Chiffre für den Abbau sozialer Leistungen und gilt hierzulande als tiefste Zäsur in der Wohlfahrtsstaatsentwicklung nach 1945: Zum ersten Mal wurde damit eine für Millionen Menschen in Deutschland existenziell wichtige Lohnersatzleistung, die Arbeitslosenhilfe, faktisch abgeschafft und durch eine bloße Fürsorgeleistung, das Arbeitslosengeld II, ersetzt. Durch Hartz IV ist Deutschland zu einer anderen Republik geworden.

Von Bayern (3,3 %) bis Berlin (16,7 %) lag der bundesweite Anteil der Hartz-IV-Empfänger an der Bevölkerung im September 2014 bei 7,5 Prozent.

Cover-Ch_ButterwggeZehn Jahre nach der Einführung zieht Christoph Butterwegge eine umfassende Bilanz.

In seinem Buch untermauert Deutschlands bekanntester Armutsforscher mit aktuellen Studien, was man gesellschaftlich spürt: eine größere Disziplinierung der Bevölkerung, die Prekarisierung der unteren Mittelschicht, das Phänomen trotz Arbeit nicht genug Geld zum Leben zu haben, die Tatsache, dass Frauen die besonderen Leidtragenden der Reform sind, zumindest wenn es sich um alleinerziehende Mütter handelt. Spannend ist auch das Kapitel über die Rolle der Medien bei der Einführung der Reform.

Ohne die Rede von »Sozialschmarotzern« und der Notwendigkeit eines Rucks, der durch das Land gehen solle, wäre Hartz IV kaum so schnell politisch durchzusetzen gewesen.

Der Autor beschreibt die Grundlagen der Arbeitsmarktreform, ihre Entstehungsgeschichte und Einbettung in die Agenda 2010, die individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Hartz IV und ruft Leserinnen und Leser dazu auf, sich gegen einen weiteren Abbau des Sozialstaats zu stellen.

Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik?“ (290 Seiten; 16,95 Euro) bei Beltz Juventa.

Über den Autor: Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln. In seinen Publikationen und öffentlichen Meinungsäußerungen setzt er sich leidenschaftlich für Menschen ein, die gesellschaftlich nur schwer zu Wort kommen und prangert soziale Missstände an.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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